Kabale und Liebe für desinteressierte Abiturienten

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Kabale und Liebe ist einer der Klassiker von Friedrich Schiller, mit dem sich viele von uns in ihrer Schulzeit auseinander setzen mussten.

(CC-0) schwelmerchen / pixabay.com

Auch für dieses Zentralabitur im Fach Deutsch steht das Sturm und Drang-Drama Schillers auf der Liste der verbindlichen Lehrinhalte zum Umgang mit Texten. Das Schauspiel Köln hat sich das zum Anlass genommen, den Klassiker auf die Bühne zu bringen. Ich lasse mir das natürlich in jugendlichem Leichtsinn nicht entgehen.

Wie sieht Theater für Abiturienten aus?

Der gemeine Abiturient würde seine Freizeit nicht unbedingt im Theater verbringen. Dementsprechend ist es fast schon obligatorisch für eine solche Inszenierung, dass der Kontext des Stücks in die Gegenwart gehievt wird. Der Kontext zwischen den Ständen Bürgertum und Adel wird also aktualisiert auf Unternehmer und Arbeiter - in diesem Fall Lageristen.

Die Szene ist in der ganzen Breite der Bühne im Depot 2 mit Kartons gestaltet. darüber ist auf einem Gerüst ein Büro installiert. In der ersten Szene sieht das Publikum die Worte amazon.as darauf projiziert.

Äußerst subtil

Die direkte Anspielung auf den Internetversandhandel Amazon birgt einen Verweis auf Überwachung am Arbeitsplatz in sich. Der Regisseur Simon Solberg geht augenscheinlich davon aus, dass die Skandale um Amazon auch am jugendlichen Publikum nicht vorbeigegangen sein kann.

Wurm, der Sekretär vom Unternehmenspräsidenten Walter, schleicht also mit einer Taschenlampe durch die dunklen Lagerhallen und richtet immer wieder eine Fernbedienung ins Publikum, um sich Aufnahmen von Überwachungskameras, auf eine große Leinwand über der Bühne projiziert, anzusehen. Die Arbeiter schlafen im lager und der Präsident weckt sie auf.

Aktuelle gesellschaftliche Diskussionen werden nur angerissen

Das Bühnenbild bleibt die meiste Zeit zusammengesetzt aus verschiedenen Kartonmodulen auf rollbaren Europaletten, die dann als verschiedene Kulissen benutzt werden. Überwachung allgemein bleibt ein Motiv: Ferdinand, der Sohn des Präsidenten, bezieht Stellung im Protest gegen seinen Vater und dessen Pläne für seine eigene Zukunft. Und dann hat er plötzlich ein "Team Snowden"-T-Shirt an.

Viele in den Medien thematisierte Ereignisse werden dargestellt, aber gerade deswegen ist keine klare Linie erkennbar.  Neben Verweisen auf Bayer, Occupy, Flüchtlinge und viele andere gesellschaftsrelevante Themen spielen besonders Populärkultur und Boulevard eine große Bedeutung.

Ganz das, was aus der Perspektive der Hochkultur von der verdorbenen Jugend erwartet wird.
Verweise auf Germany's next Topmodel aka Milford's next Topjunger mit dem It-Girl Lady Milford bis hin zu Sylvie van der Vaart.

Wie wird Sylvie van der Vaart mit Kabale und Liebe in Verbindung gebracht werden?

Luise soll sich vor Ferdinand selbst in Ungunst bringen... Und das macht sie in einem Video, in dem sie ihre Liebe zum Sekretär Wurm gesteht. Das Video bleibt natürlich der Presse nicht verborgen: Luise landet auf den Covern der Regenbogenpresse - und zwar reinmontiert in Originalcover, auf denen eigentlich Sylvie van der Vaart zu sehen war. Neben ihrem Gesicht prangen noch die Schlagzeilen zur gesellschaftlichen Demontage der Spielerfrau.

Der eigentliche im-Ernst-Moment: Luise trägt ein weißes Bustier und eine weiße Unterhose - und wird von Wurm mit einem Vorschlaghammer und blauen Glitzerschuhen ausgestattet. 

Und dann. Leckt sie den Vorschlaghammer ab. Und steigt auf eine Abrissbirne.

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Kabale und Liebe stellt das Video zu Miley Cyrus' Smashhit "Wrecking Ball" nach. Bis ins kleinste Detail und das im Prinzip in Repeat - und dann auch noch im Dubstep-Remix. 

Es ist furchtbar.
Die rezeptionelle Intention der Inszenierung? Nicht vorhanden. Es ist nicht nur Miley Cyrus, es sind so unglaublich viele Anspielungen auf Pop- und Musikkultur. Filmmusik ist sehr präsent. Von Filmmusikklassikern wie La Boum zu aktuellen Soundtracks wie "Nightcall" im Ryan Gosling-Film Drive. Dann aber auch der Kuss von Madonna und Britney Spears bei den EMAs untermalt mit Spears' "Toxic". Oder Motive aus Kylie Minogues Musikvideo "Slow"

Popstars sind ein großes Thema. Aber neben anderen Mainstreamhits wie zum Beispiel von Missy Elliott wird auch Die Antwoord gespielt. Außerdem mit dabei: das Internetphänomen Harlem Shake.

YouTube auf die Bühne gebracht

Inhaltlich wie ästhetisch: es geht Schlag auf Schlag.

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Epilektiker sollten vor dem Besuch der Inszenierung gewarnt werden.
Das Tempo sorgt zwar nicht für Spannung aber immerhin für Lacher. Es ist einfach absurd. 

Die theatrale Rezitation vom Web 2.0 bringt keinen Mehrwert für die Interpretation. Aber auch die Inszenierung als Gesamtkonstrukt funktioniert nicht. Es gab nur wenige Aufführungen und ich bin noch nie in einer so leeren Inszenierung des Schauspiel Köln gewesen. 

Schulklassen wurden angekarrt und in den ersten zehn Reihen zusammengepfercht

Erbärmlich sieht es trotzdem aus. Der Applaus ist so verhalten, dass es einen Moment des Fremdschams gibt, als die Schauspieler ein zweites Mal zur Verbeugung auf die Bühne kommen. Die Inszenierung kommt auch beim jüngeren Publikum nicht wirklich gut an. Es gibt Lacher, aber mehr auch nicht. Die Inszenierung sollte die desinteressierten Abiturienten zwei Stunden bei Laune halten.

Internet, Popkultur, Klatsch und Tratsch, eigentlich beste Voraussetzungen für einen Ersatz für die Lücke, die durch das Ende vom Dschungelcamp entstanden ist.
Für Begeisterung sorgt das trotzdem nicht. Neben der Abrissbirnenperformance zieht augenscheinlich ein eher mäßiger Tänzer die meiste Begeisterung auf sich - und bekommt dafür enthusiastischen Beifall. Die Tänzer sind Schauspielschüler vom Theater der Keller, also sei zu entschuldigen, dass er nicht über die beste Körpersprache verfügt. Sein Erfolgsgarant ist ein bauchfreies Top als einziger Typ unter Mädchen. 

Ein Lichtblick?

Marek Harloff spielt den Ferdinand. Seine kindlich-naive Art bringt die fantastische Welt der Liebe, in die Luise und er fliehen - obwohl sie übertrieben ist - glaubhaft auf die Bühne. Aber dafür müsst ihr euch nicht Kabale und Liebe ansehen.

Bleibt lieber zu Hause. Die Abiturienten unter euch, die Deutsch als Fach für die mündliche Prüfung haben, brauchen sich die letzte Aufführung im April nicht ansehen, denn sie trägt nicht zum Verständnis von Schillers Sturm und Drang-Klassiker bei.

Und sie nervt.

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