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Wie ungesund ist Binge Watching wirklich?

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Und, habt ihr schon Arcane gesehen? Serien sind für die meisten Menschen ein angenehmer Zeitvertreib, ein Hobby, eine Flucht aus dem Alltag. Auch sind sie eine gute Art, eine Konversation zu starten. Wer hat nicht schon mal auf einer Party mit einer fremden Person connected, nur weil sie dieselbe Serie gesehen hat? Häufig Serien zu schauen ist also normal und keinesfalls ungesund. Oder?

(CC-0) Pexels / pixabay.com

Die Psychologie hinter Serienschauen

Verschiedene Medieninhalte können unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen. Hast du Lust auf Gesellschaft? Guck eine Serie, die dir vertraut ist und deren Figuren du kennst. Hast du Lust was zu lernen? Dann guckst du vielleicht eine Doku. Hast du Lust auf Unterhaltung? Ran an die Krimiserie.

Unterhaltungsnutzung kann vier Kategorien von Bedürfnissen befriedigen: Das Bedürfnis nach Ablenkung, nach Information, nach sozialen Erlebnissen und nach einer Strukturierung des Alltags. Das erklärt mir Dominique Wirz. Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Freiburg und befasst sich auf wissenschaftlicher Ebene mit Serien und Binge Watching. Das Sichten von Serien kann nach Wirz mehrere dieser Bedürfnisse ansprechen.

Laut Wirz ist Serienschauen per se also nichts Negatives. Sie erklärt, dass man durch das regelmäßige Einfühlen in Personen, die schwere Zeiten durchmachen, Resilienz aufbauen und somit lernen kann, mit Belastungen und den eigenen Emotionen umzugehen. Serienschauen ist also nicht nur ein Ersatz für verschiedene Bedürfnisse wie Entspannung, Emotionsregulation und Eskapismus - sondern kann auch emphatischer und robuster machen.

Wann wird Binge Watching problematisch?

Früher lief eine Serie nur einmal am Tag im Fernsehen. Das unendlich große Angebot auf Streaming-Seiten, das uns nun zur Verfügung steht, lädt heutzutage jedoch dazu ein, einen Tag mal nur mit Serien zu verbringen. Im Durchschnitt verbringen Deutsche zwei Stunden pro Tag vorm Fernseher, so Wirz. Welche Nutzung zu exzessiv ist, hängt jedoch weniger von der Menge der Nutzung, als von der Intention und der Selbstkontrolle ab.

Zum Thema Binge Watching, also dem Anschauen von drei oder mehr Folgen ohne Pause, wird erst seit 10-15 Jahren geforscht. Binge Watching ist laut Dominique Wirz noch keine anerkannte Diagnose, da es bislang nur wenige Studien zu dem Krankheitsbild gibt. Betroffene berichten von obsessiven Verhalten, das man auch mit Binge-Eating oder Binge-Drinking vergleichen könnte. Die Obsession zeichnet sich aus durch einen Kontrollverlust und die Vernachlässigung anderer Bereiche des Alltags. Betroffene Personen können demzufolge nicht mehr aufhören, Serien zu gucken, und vernachlässigen soziale Kontakte oder akademische Verpflichtungen. Serien zu bingen kann also zu einer Verhaltenssucht werden.

Wirz warnt jedoch vor einer Überpathologisierung: Nicht jede Person, die oft und häufig Serien guckt, hat gleich eine Verhaltensstörung. Wenn aus Unterhaltungszwecken Serien angeschaut werden, ist das nicht gleich problematisch. Problematisch wird es erst, wenn dadurch negative Konsequenzen entstehen und das Verhalten dennoch nicht geändert wird – oder geändert werden kann.

Raus aus der Abhängigkeit

Es gibt viele Wege, um einer (beginnenden) Abhängigkeit entgegenzuwirken. Zunächst lässt sich auf diversen Webseiten wie onlinesucht-hilfe.com ein Selbsttest durchführen, der Auskunft gibt, ob eine mögliche Sucht vorliegt.

Es gibt viele Menschen, die selbst merken, dass sie sich im Internet verloren haben und Hilfe benötigen. Laura Bottel bietet online Diagnosegespräche an und vermittelt Hilfesuchende an Beratungs- und Therapiemöglichkeiten. Wer sich bei einer Online Suchthilfe meldet, dem wird eine vier Wochen dauernde Beratung und Diagnostik angeboten. Innerhalb dieser Wochen wird an der eigenen Internetnutzung gearbeitet und es werden Strategien erarbeitet, die eine Sucht eindämmen können.

Bottel erklärt, die wirksamste Strategie sei es, Struktur und Kontrolle zu schaffen. Sich selber klare Internetzeiten einzuräumen und einen geregelten Tag-Nacht-Rhythmus zu haben, kann hier ein großer Schritt nach vorne sein. Sich physisch aus triggernden Situationen zu entfernen ist ebenfalls von Nutzen: Das Lernen oder Sozialisieren fällt vielleicht einfacher in der Bibliothek oder im Café, als zuhause.

Eine Vorstellung davon zu haben, wie viel Medien man nutzt, ist nach Dominique Wirz ebenfalls ein guter Weg, nicht unbewusst in eine Sucht zu rutschen. Menschen, die wissen, wie viel sie nutzen (wollen) haben laut Wirz weniger problematische Tendenzen und ein höheres Wohlbefinden. Den Tag zu dokumentieren und zu analysieren, wo die Nutzung angepasst werden könnte, ist auch eine Strategie, die Bottel vorschlägt.

Ein kompletter Detox kann einer beginnenden Abhängigkeit ebenfalls den Garaus machen; Bottel macht jedoch darauf aufmerksam, dass ein solcher Schritt nicht immer realistisch ist und sogar zu einem Jojo-Effekt führen kann. Ein medienfreier Tag ist zwar sehr gesund; für Studierende und Arbeitende im Homeoffice jedoch meist nicht tragbar. Laut Bottel ist aber auch schon eine medienfreie Stunde zur Mittagszeit oder vorm Schlafengehen eine gute Alternative. Kein Blaulicht vorm Einschlafen begünstigt auch eine entspannte Nachtruhe. Also Handy aus und ran an ein spannendes Buch – euer Körper wird euch danken.

 


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