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Frühstückslektüre | Feierabendbier oder Suchtkrankheit?

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Es ist das alte Lied: Staat oder Individuum? Freiheit oder Sicherheit? Diese Fragen beschäftigt die Menschheit nicht erst, seitdem die Zuckersteuer in Großbritannien eingeführt wurde. Doch die Briten lassen sie wieder neu aufflammen: In den Medien wird viel diskutiert über die staatliche Kontrolle persönlicher Entscheidungen. Schlagzeilen wie „Die süße Freiheit“ oder „Wie lassen sich Kinder von Zuckerbomben-Drinks schützen?“ fallen ins Auge. Doch welche Argumente haben die beiden Lager und wie überzeugend sind sie wirklich? 

Die Freiheit jedes Individuums ist absolut und unantastbar

Viele der Gegner der Regulierungen durch den Staat, wie bei uns z.B. die Tabaksteuer, gehen von einem freien Individuum aus. Jeder Mensch ist demnach mündig und kann für sich selbst entscheiden: Ist das gut für mich? Oder etwa nicht? So ein Menschenbild hatte übrigens auch der bekannteste Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant. Er sagt, jeder Mensch sei vernunftbegabt, man müsse sich nur seiner Vernunft bedienen. Genau das hebe uns letztendlich auch vom Tier ab. Politisch würde man diesen Menschen als mündigen Bürger bezeichnen.

Ein großes Argument der Befürworter der Regulierungen ist das Suchtpotential, das mit Alkohol, Tabak und Zucker einhergeht. Aber nicht jeder fällt gleich in eine Sucht, der oder die ab und zu mal ein Glas Rotwein trinkt, was ja bekanntlich gesund ist. Es wird vermutet, dass es eine Veranlagung für die Entwicklung einer Sucht gibt, da Kinder von Süchtigen häufig selbst süchtig werden. So gibt es in der Umkehrung auch einen großen Teil, der diese Veranlagung nicht hat und somit nicht in gleicher Weise vom Staat „beschützt“ werden muss. Etwas wie die Zuckersteuer schränkt also auch Bürger ein, die nicht unter einer Sucht leiden und ein relativ geringes Risiko haben, eine zu entwickeln.


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Aber schauen wir uns das Krankheitsbild Sucht doch mal genauer an: Wieso und wann entsteht eine Sucht? Häufig sind es äußere Faktoren wie Stress, die eine Sucht bei einem vermeintlich gesunden Menschen auslöst. So fand das Wissenschaftliche Institut der AOK 2013 heraus, dass ein anstrengender Arbeitsalltag den Missbrauch von Alkohol und auch anderen Drogen fördern kann. Noch ein Zeichen dafür, dass die Auslöser für Sucht den (meisten) Menschen von Natur aus nicht eigen sind. Deshalb sollte der Staat zunächst die Ursachen von Suchterkrankungen bekämpfen, nicht aber die Symptome. Die Symptome einzudämmen bringt vielleicht einen kurzfristigen Erfolg, nachhaltig ändert sich jedoch nicht viel. Außerdem schränkt es Dritte ein, die ein geringes Suchtrisiko haben.

Es gibt auch Beispiele für Länder, die sehr liberale Drogengesetze etabliert haben, sie gehen einen neuen Weg. So darf man in Portugal bis zu 25 Gramm Cannabis besitzen, ein Gramm Heroin und zwei Gramm Kokain. Drogen mit dem Wirkstoff MDMA (wie z.B. Ecstacy oder Speed) liegen bei einem Gramm. Das Land entkriminalisiert Drogen radikal. Und was sind die Auswirkungen? Zunächst werden Drogenabhängige in erster Linie als das behandelt, was sie auch sind: Suchtkranke. Zudem ist die Zahl der Bürger die Drogen nehmen seit 2001 gesunken, das berichten die Transform Drug Policy Foundation und der Europäische Drogenbericht.

Der Staat muss den Bürger schützen

Okay, Menschenideal und Vernunft schön und gut. Aber leider sind wir nicht reine Vernunftwesen und Sucht ist eine Krankheit die uns in Entscheidungen unfrei macht. Das kann schnell eine große Menge an Menschen betreffen. Zu viel Zucker macht z.B. süchtig, und der/die Deutsche nimmt durchschnittlich mehr als doppelt so viel der empfohlenen Menge pro Tag zu sich. Folglich sind wahrscheinlich viele von uns schon süchtig nach Zucker. Der Staat hat die Aufgabe und Pflicht, seine Bürger und Bürgerinnen zu beschützen und zwar möglichst viele. Und das funktioniert auch mittels Eingriffen. In Deutschland ist die Anzahl der Nichtraucher aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen gesunken. Man vermutet einen Zusammenhang mit der Tabaksteuer und den Schockbildern auf den Verpackungen.

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Auch wenn nicht alle Menschen eine Veranlagung zu Suchtkrankheiten haben, so können alle süchtig werden. Und wie bereits erwähnt: viele sind es schon! Dass der Staat Bürger ohne Sucht zu sehr einschränken würde ist also ein schwaches Argument, denn es sind alle potenziell betroffen. Der Zuckerkonsum an sich wird in Großbritannien auch nicht verboten, nur die Hemmschwelle es zu konsumieren wird höher. Das ist kein radikaler Eingriff in die Freiheit der Bürger, hilft aber Sucht und andere darauffolgende Krankheiten zu präventiveren. Es soll eine Hilfe sein, bewusster zu leben.

Hinzukommt ein finanzieller Aspekt: Wenn Süchtige nunmal da sind, muss der Staat sie unterstützen und ihnen möglichst aus der Krankheit helfen. Und das kostet viel Geld. Wenn der Staat jedoch vorher mehr Geld in Prävention investiert oder sogar durch eine Tabaksteuer Geld einnimmt, so sinkt die Zahl der Süchtigen nachhaltig. Das ist auf lange Sicht deutlich effektiver und bewahrt Menschenleben.

Ziehen wir eine Bilanz

Eine Suchtkrankheit ist belastend und schränkt unsere Freiheit ein, fordert sogar Tote. Da stimmen alle überein. Wie man das vorbeugen kann, da scheiden sich die Geister. Entkriminalisierung von Drogen ist wichtig, um bereits Süchtigen zu helfen. Und die Zahl der Personen die Drogen nehmen steigt zumindest in Portugal dadurch nicht an. Wenn aber Regulierungen des Staates auch die Zahl der „problematischen Konsumenten“ vermindert, so ist diese Maßnahme auch vertretbar. Was der beste Weg ist, gegen Sucht vorzugehen, entscheidet jeder Staat für sich. Es hat aber noch keiner ein Wundermittel gefunden.

Die Frage, ob die freie Entscheidung des Individuums oder der Schutz der Gruppe wichtiger ist, kann man nicht klar beantworten. Es kommt auf die Überzeugung an: Realpolitisch handeln und aktuelle faktisch mehr Menschen retten oder nach Prinzipen handeln und somit vielleicht nachhaltig etwas ändern.

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