Leitung: Maximilian Latz, Nadja Heckelsberg

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WSI / Box & the Twins / Lebanon Hanover - Tanzbare Winterdepression

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Köln ist eiskalt, der Winter hat begonnen. Passend dazu spielten letzten Freitag im Gebäude 9 drei Bands, deren Musik angemessen düster für die Jahreszeit ist: Winter Severity Index, Box & the Twins und Lebanon Hanover. Melancholischer Dark Wave perfekt für einen tanzbaren Winterbeginn.


Der Abend beginnt mit Winter Severity Index. Ein italienisches Bandprojekt zwischen einer Gitarristin, die zugleich Sängerin und für die brachialen Drums zuständig ist, und einer Keyboarderin, die sich um atmosphärische Synths kümmert. Das Resultat: Stimmungsvolle Cold Wave-Tracks. Langsame Synthesizer verleihen dem Ganzen sogar noch einen leichten Ambient-Charakter. Getanzt wird hier nur vereinzelt, aber das macht gar nichts: Es ist Atmosphäre-Musik, die vollkommen wirkt. Es sieht niemand unbeteiligt zur Bühne, sondern alle hören die Musik. Dazu werden Weltuntergangsmotive auf die Bühne projiziert - zusammen mit einem jährlichen Countdown, der statt rückwärts zu zählen, in eine dystopische Zukunft einleitet: Wir sehen Überschwemmungen, Meteoriteneinschläge und Eiszeiten - die melancholische Winterstimmung ist damit auf jeden Fall etabliert und spätestens ab dem Song "A Sudden Cold" bin ich genauso in einem innerlich ruhigen, aber doch irgendwie getriebenen Film wie der Rest des Publikums. Wenn ich aber an den ganzen Abend zurückdenke, dann war dieser Auftritt ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm.

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Daraufhin folgt dann die Kölner Band Box & the Twins und die latent melancholische Stimmung weicht etwas, was ich gerne als "tanzbare Trauer" bezeichnen würde. Die Sängerin (Box) und der Gitarrist (Mike) spielen in diesem Auftritt wirklich individuelle Stärken aus: Mike spielt einen starken, eingängigen und zugleich unfassbar düsteren Riff nach dem nächsten. Das ergibt zusammen mit den dazu eingespielten, sehr stark vom Dark-Wave inspirierten und laut gespielten Drums ein sehr angenehmes Soundbild. Box hingegen gibt dieser Band mit ihrer Bühnenpräsenz eine sehr tragische Präsenz. Fast jeder Song wird angesagt mit einer Widmung an einen Jungennamen. In den Höhepunkten der gespielten Tracks zerreißt Box Blumen, wirft sie ins Publikum, schlägt in die vom Kunstrauch getränkte Luft und schreit die Texte in ihr Mikrofon. Textlich geht es dabei meistens um verflossene Liebe oder - allgemeiner gefasst - um "Zerfall", wie sie auch ihr neuestes Album genannt haben. Der Auftritt endet mit einem langen, chaotisch-willkürlichen Gitarrengeschmetter und einem letzten verzweifelten Schrei. Hier muss ich zugeben, war ich fast ein bisschen ausgelaugt. Nicht in einem negativen Sinne, sondern war der Auftritt so intensiv, dass es fast ein bisschen an mir genagt hat...

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...doch dann kam Lebanon Hanover. Im grün gefärbten Nebel als Silhouetten auf der Bühne performen sie "Alien". Ein Song, der mit einem verhältnismäßig langsamen Dark Wave-Rhythmus, einer sehr melancholisch-getriebenen Gitarre und seiner Außenseiter-Thematik einen absolut atmosphärischen Hit für mich darstellt. Als dann der hallige Gesang einsetzt, verlier ich mich wieder absolut in der Musik und bin bereit, für meinetwegen zwanzig weitere Songs einfach in der Menschenmenge zu tanzen. Auch, wenn der Text eher ein anderes Gefühl wiederspiegelt: 

And however hard I try to integrate - I'll always remain alien.

Das gesamte Publikum taut auf und tanzt von Song zu Song. Als der größte Track "Gallowdance" auch nur mit der Gitarre angespielt wird, jubelt die Masse zur Bühne. Das Highlight in Sachen Publikums-Action bietet dabei einer der EBM-artigsten Songs der Band, nämlich "Du Scrollst": Sehr viele tanzen und sehr viele zücken ihre Handys wegen der Lichtershow auf der Bühne. Bei einem Song über Kritik an Social Media durchaus ein etwas bizarrer Anblick. Dennoch - mit diesem Auftritt haben Lebanon Hanover eine Atmosphäre geschaffen, die der gesamte Raum gefühlt und gefeiert hat. Ab diesem Punkt hätte ich noch stundenlang mehr Songs live hören können. Ich war im Runner's High der Konzertgänger.

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Also. Schlagende dreieinhalb Stunden Konzert. Hat's sich gelohnt?
Sagen wir's mal so. Ich hab mich am Merchandisestand ein bisschen eingedeckt:


Nein, ernsthaft. Es war ein Abend voller Magic Moments und eines meiner persönlichen Jahreshighlights. Die Auftritte haben starken Eindruck hinterlassen und so schreibe ich diesen Text mit einem Lächeln auf den Lippen, schwarzem Tee auf dem Schreibtisch und Lebanon Hanover auf Spotify. So sieht man mich vielleicht noch ein paar Monate, festgefroren vegetierend. Oder um es mit Lebanon Hanover zu sagen:

Kiss me until I start to rot.

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