Berlinale 2008 - 4. Tag: Glühwürmchen im Plattenbau?

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Sven schreibt:
Der Sonntagmorgen begann erquicklich mit dem iranischen Wettbewerbsbeitrag "The Song Of Sparrows", ein Film in Tradition des italienischen Neorealismus: Familienvater Karim verliert seinen Job als Malocher auf der Straußenfarm, weil ihm angeblich ein Strauß ausgebüchst ist. Nun fährt er täglich nach Teheran, um dort Gelegenheitsarbeiten zu verrichten - und er beginnt die Stadt wortwörtlich in sein peripheres Dorf hineinzutragen. Die Kluft zwischen Stadt- und Landleben ist der Dreh- und Angelpunkt von "The Song Of Sparrows" - und zeigt sich letztendlich auch in Karim selber. Der wenig spektakuläre, aber lebendige, leichtfüßige und flüssige Film macht auch am Morgen Laune. Eine gekonnte, zurückhaltende Inszenierung, die den Ton zwischen notwendigem Witz und hinreichendem Ernst trifft - und schöne Bilder - sorgen für das wohlige DeSica-Feeling.
Die US-amerikanische Philip-Roth-Verfilmung "Elegy" im Anschluss (ebenfalls Wettbewerb) war aber auch überraschend sehenswert. Wie bei Roth anscheinend eine fixe Idee, geht es wieder um einen älteren Professor, der mal wieder was mit einer seiner jungen hübschen Studentinnen hat. Der Literaturwissenschaftler, dem es dabei sonst immer nur um den Spaß an der Freud' ging, scheint die Sache aber diesmal für was ernsteres zu halten, und das gibt natürlich Probleme. Dass dieser Film in der Tat überdurchschnittlich ist, ist neben seinem Humor den Darstellern zu danken - natürlich Ben Kingsley in der Hauptrolle, ganz besonders aber Dennis Hopper, der ist mal wieder einfach der Beste. Und wer schon immer mal sehen wollte, wie Kingsley Penelope Cruz besteigt, der wird hier auch fündig.
Schließlich noch "Fireflies In The Garden", außer Konkurrenz laufend. Warum auch nicht. Erinnerungen an einen verhängnisvollen Sommer werden wach, als die Familien der Schwestern Lisa und Jane (Julia Roberts und Emily Watson) zusammentreffen (wenn auch auf überraschend unerfreuliche Weise) und einige persönliche Beziehungen überdacht werden müssen, insbesondere die von Lisas Sohn und dessen Vater. "Fireflies In The Garden" kommt etwa zwei Stunden lang nicht zum Punkt und ist dann vorbei. Dem Zuschauer zum Glück verhilft das belanglose Gesäusel dieweil zu einem erholsamen Nickerchen im Kinosaal.
In der Bunuel-Retro danach "Die Vergessenen" geschaut, um den Blutkreislauf wieder in Gang zu bekommen. Da schreibe ich jetzt aber nichts weiter drüber, den gibts ja bestimmt schon auf DVD. Aber lohnen tut er sich natürlich, wie eigentlich jeder Bunuel, den ich kenne...)!

Philip schreibt:
Mit LOVE AND OTHER CRIMES nimmt ein cineastischer Sonntag leicht einen guten Start. Der Film des Serben Stefan Arsenijevic läuft in der Berlinale Nebenreihe Panorama und erzählt mit einer Spur von magischem Realismus vom kleinkriminellen Leben in einem Plattenbau-Viertel in Neu-Belgrad. Arsenijevic gehört zu einer Gruppe befreundeter osteuropäischer Filmemacher, zu denen unter anderem auch die Gewinnerin des Goldenen Bären 2006, Jasmila Zbanic (für ESMAS GEHEIMNIS), und Christian Mungiu (Goldene Palme 2007 für 4 MONATE, 3 WOCHEN UND 2 TAGE) gehören. Zusammengekommen sind die Jungregisseure für den 2005 (ebenfalls bei der Berlinale) erstaufgeführten Kompilationsfilm LOST & FOUND, zu dem jeder eine Episode beisteuerte. Gleichsam wie seine inzwischen bereits erfolgreichen Kollegen unterstreicht jetzt auch Arsenjivic, wie großartig zeitgenössisches Kino aus Osteuropa sein kann.
Ähnlich beeindruckend ist auch das frankokanadische Drama EVERYTHING IS FINE über die Sinnkrise eines Jungen, von dem sich gleich vier seiner engsten Freunde nach einem Selbstmordpakt das Leben genommen haben. Das Regiedebüt von Yves-Christian Fournier fängt das Leid des Jungen ebenso wie dessen seltene Freunden in wunderbaren Bildern und Momenten ein. Erfreulich ist darüber hinaus noch, dass EVERYTHING IS FINE nie selbst in eine Depression verfällt, sondern stets Variationen von Nüchternheit, Hoffnung und Humor durchspielt. Von dem sichtbar talentierten Fournier wird man in der Zukunft sicherlich noch viel hören - hoffen wir in der Zwischenzeit, dass EVERYTHING IS FINE auch außerhalb der Berlinale den Weg in unsere heimischen Kinos findet!

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