Berlinale 2008 - 2. Tag: Lektionen über Lektionen

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Sven schreibt:
Obwohl immer noch schockiert darüber, wie voll es auf der Berlinale doch ist, heute gleich den ersten Wettbewerbsbeitrag mitgenommen, das chinesische Drama "In Love We Trust". Es geht um ein geschiedenes Ehepaar, dessen kleine Tochter an Leukämie erkrankt. Weil eine Knochenmarktransplantation die letzte Hoffnung auf Heilung ist, aber beide Elternteile zum Spender nicht taugen, könnte nur ein neues Geschwisterchen dem Mädchen das Leben retten - von ihren leiblichen Eltern eben, die ihrerseits freilich längst wieder verheiratet sind. Tragische Stoffe schmecken oft nach Antike und wirken in der heutigen Welt (warum eigentlich?) meist angestrengt gekünstelt. Hier nicht; "In Love We Trust" ist ein glaubwürdiger Film, kühl, sehr ruhig und langsam erzählt. Nur wird der anfangs ernstzunehmende und emotionale Inhalt zunehmend so belanglos und albern, dass man in der Pressevorführung um neun Uhr morgens ständig mit zufallenden Augen zu kämpfen hat.
Der nächste Wettbewerbsbeitrag: "There Will Be Blood". Schon in Köln in der Pressevorführung gesehen und heute sausen gelassen, um noch zur dazugehörigen Pressekonferenz zu kommen. Aber jetzt war inzwischen auch die Gala-Premiere von "There Will Be Blood", und endlich darf ich öffentlich sagen, wie ich ihn finde: er ist hervorragend. Nach dem Buch "Oil!" von Upton Sinclair erzählt "Boogey Nights"-Regisseur P. T. Anderson die Geschichte eines gewissen Daniel Plainview. Der steigt im frühen 20. Jahrhundert vom Goldgräbers zum Öltycoon auf und liefert sich eine Fehde mit dem jungen Pfarrer, auf dessen Gemeinde Boden gebohrt wird. Das vielbeschworene Ideal des US-amerikanischen Selfmade-Man ist hier ein profitgeiler Kotzbrocken, der mit ansteigendem Reichtum immer unmenschlicher wird - und der Film selber ist (trotz seiner Länge) spannend, bildgewaltig, erstklassig inszeniert (vor allem wunderbar exakt inszeniert) und in der Hauptrolle spielt ein geradezu unglaublicher Daniel Day-Lewis auf. Am nächsten Donnerstag läuft das überwältigende Epos im Kino an: reingehen! In der anschließenden Pressekonferenz war es dann geradezu befremdlich, als Day-Lewis ohne Schnauzbart erschien, und ohne Leute mit Bowlingpins zu verprügeln.
Als dritter Wettbewerbsbeitrag dann der unsägliche finnische Thriller "Black Ice". Eine Dame um die 40, Saara, wird von ihrem Mann mit einer seiner Studentinnen betrogen (genau wie in "Szenen einer Ehe") und beschließt dann, ihre jüngere Nebenbuhlerin inkognito und privat kennenzulernen - mit dem Fernziel, Rache zu nehmen. Ein schlichtweg ärgerlicher Film; wirr, völlig unglaubwürdig und beknackt. Der schräge Humor rettet das Notdürftigste, aber auch das ist nicht eben viel.
Schlußendlich war dann noch die Eröffnung der Festival-Sparte "Perspektive deutscher Film", wo Filme von jungen und unbekannten deutschen Regisseuren zu sehen sind. Zu diesem Anlass wurde "Berlin - 1. Mai" gegeben, ein Episodenfilm über die Erlebnisse eines Polizisten, eines kleinen hyperaggressiven türkischen Jungen und zweier Jugendlicher, die einfach mal die Kuh fliegen lassen wollen - am 1. Mai in Berlin, auf der Demo. Das Konzept dieses Films, dass drei einzelne Filmteams jeweils eine der drei einzelnen Episoden drehen, war übrigens ursprünglich eine rein ökonomische Entscheidung. Der unterhaltsame, realistisch gedrehte Film mit viel Krawall hätte dabei gerne mehr in die Tiefe und weniger in die Breite gehen dürfen - wenn sich etwa der verkommene Linksintellektuelle und der Türkenknabe, der "mal einen Bullen abknallen" will, überhaupt nicht über den Sinn des 1. Mai eins werden können, ist das nur eine der Situationen, in denen nur an der Oberfläche der Materie gekratzt wird, die man eigentlich hätte ausbreiten müssen. Zu bewundern ist dennoch das unpeinliche Spiel der Darsteller.

Philip schreibt:
Fünf Dinge die ich heute gelernt habe:

1. Öl macht mächtig, Macht macht gierig. Gier macht tödlich. Und THERE WILL BE BLOOD! ist ein verehrungswürdiger Film. Großartige Darsteller (Daniel Day-Lewis, natürlich; Paul Dano), Bilder wie man sie sich nur wünschen kann und ein überwältigender Soundtrack. Dazu ist der Film auch noch lang und zäh. Aber verehrungswürdig! Ob ich ihn mag, ... also persönlich, mit Leidenschaft und so... das weiß ich leider immer noch nicht...
2. Daniel Day-Lewis ist eine coole Sau. In persona noch viel mehr! Wirklich! Auch wenn sich über seinen Kleidungsstil streiten lässt...
3. Finnische Designprofessoren sind super Frauenmagneten! Und wenn sie noch so hässlich sind. Das hab ich jedenfalls aus dem finnischen Wettbewerbsbeitrag BLACK ICE mitgenommen. Sonst eher nichts...
4. Auch in Ägypten gibt es quasi-erotisches Talkradio. Aber die Moderatorinnen solcher Sendungen leben einsam. Und träumen von Männern mit Aquariumsphobien. Zu sehen in AQUARIUM.
5. Spanische Männer mittleren Alters kommen einfach nicht auf unsere hübschen deutschen Frauen klar. Die Konsequenz: blutgierige kleine Wolfsmädchen. Der Genrefilm SHIVER hatte heute ohne Frage den reinsten Unterhaltungswert.

Da darf ich wohl gespannt sein, welche Lektionen mir morgen bevorstehen...

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