Leitung: Maximilian Latz, Nadja Heckelsberg

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Und mein Herz zerbarst bei Isolation Berlin

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Vorletzten Freitag spielte Isolation Berlin im Kölner Luxor ihr erstes ausverkauftes Konzert. Doch nicht nur gruppenintern wurde der Abend zum Meilenstein: Die Band eröffnete ein neues Kapitel in der Geschichte der deutschsprachigen Gitarrenmusik.

© Noel Richter

Der Otto-Normal-Verbraucher der Musikindustrie könnte meinen: So viel Schmerz hält doch kein Mensch aus! Doch. Tut er. Isolation Berlin zelebriert das sogar, und macht damit für einen kurzen Abend das Luxor zum Mekka aller Verzweifelten, aller Deprimierten, aller... ja, wen spricht diese Musik über die Schattenseite des Seins überhaupt an? Berliner? Zugezogene? Generell Großstadtexistenzen, die nur noch vor sich hinvegetieren? Könnte man es sogar wagen zu sagen, Isolation Berlin verkörpere Leiden einer ganzen Generation, welche die vielen Realitätsverweigerer endgültig satthat?

Sobald Sänger Tobias Bamborschke die tief eingebaute Bühne betritt und seine Texte oft mit geschlossenen Augen ins Mirko säuselt, beginnt der Rausch. Ein Rausch, in dem sich das Publikum wahrscheinlich jedes gesprochene Wort der Band sofort in seine blassen Leiber tätowieren lassen würde. Eingebrannt in unsere zerschundenen Seelen haben sich die Worte schon längst. 

© Wiebke Reimers

Die Masse tanzt, singt mit, schreit. Sie bewegt sich in Trance und starrt ihre Idole an. Links Gitarrist und Keyboarder Max Bauer in grauem Sakko mit einer verblüffenden Ähnlichkeit zum jungen Julian Casablancas oder Alex Turner, rechts Bassist David Specht mit Hornbrille stets angelehnt an den modischen Art Rock. In der Mitte hängt offenes Blatt Tobias Bamborschke mit hipper Mütze am Mikrofon, als wäre es seine letzte Stütze. Hinten trommelt Simeon Cöster ums nackte Überleben. Insgesamt ein Bild für die suizidgefährdeten Götter - falls es sie noch gibt?

In "Vergifte Dich" zumindest scheint die Lösung für den Glaubensverlust eine ganz einfache zu sein: "Wenn du keinen Sinn mehr siehst/ Jede Nacht nur Nietzsche liest/ Wenn du an keinen Gott mehr glaubst/ Keiner Menschenseele traust/ Du nicht mehr an die Liebe glaubst/ alle Lügen gleich durchschaust/ Dann sei doch nicht traurig/ Nein/ Vergifte dich/ Ich vergifte mich."

Die Lieder lassen keine schon wahr gewordene Dystopie aus: Depression, Suizidgedanken, Zukunftsangst lähmen jeglichen Fortschritt in Richtung glückliches Leben. Liebeskummer und Lust machen das Leben dann doch lebenswert. Ein unheilbarer Weltschmerz und vor allem eine zermürbende Großstadtmelancholie dominieren die Zeilen der schon literarischen Lyrics.

Ohne Isolation Berlin
lebt man nur das Leben
einer Hülle eines echten Menschen.


Zum Ende des Konzerts wird noch einmal wild gepogt. Lieder wie "Kicks" und "Wahn" laden förmlich dazu ein, sich die irritierenden Gedanken aus dem Kopf zu schütteln. Wut und Verzweiflung sind einfach von den Lippen des Sängers abzulesen, noch einfacher aber aus Mimik und Gestik; wie sie zappeln zu seinen Worten.

Das Publikum, vielleicht persönlich selbst zu sehr orientiert an der Vergangenheit, ist endlich im Hier und Jetzt angekommen. Jeder Therapeut wäre stolz wie bolle. Es scheint, keine Stunde auf dem Liegesofa des Seelensorgers kann den Effekt eines Konzertes von Isolation Berlin herbeiführen. Vom Moment gepackt schmeißt sich Tobias in die wütende Menge. Er taumelt "rastlos ohne Ziel" inmitten seiner Fans. Nur das Kabel vom Mikrofon hält ihn irgendwie an Ort und Stelle. Ausgebrannt verschwindet der Frontmann im Backstage.  

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Das Ende aber soll die Ballade "Vergeben heißt nicht vergessen" besiedeln. Dazu sind nur noch Tobias und Max auf der Bühne. Begleitet wird die wohl intimste Darbietung mit Akustikgitarre. Dabei immer vorne: die klare und fast unerträglich ehrliche Stimme des Sängers. "Die Monate reichen sich lustlos die Hände. Mit totmüden Augen seh ich die Jahre vergehn. Es gibt kein zurück und ich komm nicht voran." Jede einzelne Person im Publikum ist an den Akkorden und Anekdoten gefesselt. Dann ist das Lied vorbei, und es ist wahrscheinlich jedem ein wenig seltsam zu Mute. Wir sind verliebt, und uns wird klar:

Wenn Isolation Berlin Herzensbrecher sind,
dann sind ihre Herzen schon lange zerborsten.


So oder so, eins ist nun fest in Stein gemeißelt: Kaum eine andere aktuelle Band schafft es, den Zeitgeist des urbanen Wahnsinns so auf den Punkt zu bringen wie Isolation Berlin. Nenn' sie ruhig die deutsche, gegenwärtige Version zum britischen Bruder Joy Division, die den "urban decay" zum Hauptakteur ihres Gesamtwerkes machte. Aber vergleiche sie nicht, denn das wäre töricht.

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