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Kann Theater noch etwas bewegen?

Verfasst von Franziska Glameyer am

Die Premiere von Brechts Stück “Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer” im Juni 2019
am  Schauspiel Köln ließ das Publikum mit vielen Fragen zurück. In einem offenen Publikumsgespräch am 20.10.19 wurde nun der Versuch unternommen diese gemeinsam zu klären.


Es geht um die Wurst


Die Geschichte um vier Deserteure, die sich gegen Ende des 1. Weltkrieges in einem Keller in Mülheim an der Ruhr verschanzen und die Revolution planen, kommt bildgewaltig und doch sperrig daher. Johann Fatzer kann das Leid im Schützengraben nicht länger ertragen. Eine Revolution muss her, das Volk soll aufwachen. Ziemlich bald muss er aber feststellen, dass die menschlichen Grundbedürfnisse dem Idealismus nur bedingt untergeordnet werden können. Der Hunger bringt die Gruppe um Fatzer dazu sich zu zerfleischen, die Revolution scheitert bevor sie beginnt. Fleisch als Sinnbild des Hungers ist überhaupt ein zentrales Motiv in der Inszenierung von Oliver Frljić.


Echtes Mitmach- Theater oder leere Stilistik?


Alle Figuren werden im Stück von allen Darstellenden verkörpert und so wird jegliche Einfühlung in die einzelnen Figuren erschwert. Das Publikum soll sich nicht zurücklehnen und sich berieseln lassen, das macht auch der improvisierte Monolog von Benjamin Höppner deutlich. Die vierte Wand völlig auflösend redet er sich in Rage. Gesellschaftskritisch schmettert er dem Publikum die Fragen nach politischer Haltung entgegen und versucht somit dieses aus seiner Komfortzone zu locken. Ob die Aufforderung Stellung zu beziehen und der Gesprächseinladung innerhalb des Stückes nachzukommen ernst gemeint oder nur ein stilistisches Mittel ist, bleibt in diesem Moment unklar.


Die Inszenierung hinterfragt auf unbequeme Art die eigenen Werte


Das Einladung im Rahmen eines Publikumsgespräches nach der Inszenierung über das Gesehene zu reden, ist hingegen als ernst gemeint zu verstehen. So finden sich gegen 22 Uhr das Ensemble und immerhin noch ungefähr 25 Zuschauer*innen im Foyer zusammen. Angestoßen wird das Gespräch von der Dramaturgin Sarah Lorenz und gleich zu Beginn wird klar, dass es sich um Grundsatzfragen handelt, die das Stück aufwirft: Wie politisch soll Theater sein und kann Theater überhaupt etwas bewirken? Wann steht man auf um für die eigenen Überzeugungen Haltung zu zeigen?


Rufe aus dem Publikum- in diesem Fall willkommen


Ein Zuschauer bezeichnet den Abend als sehr “brechtig” und beklagt, ihm habe der Entertainment-Charakter gefehlt und er habe sich stattdessen persönlich angegriffen gefühlt. Er fände Brecht zu spielen sei unzeitgemäß. An dieser Stelle widerspricht eine anderer Zuschauer energisch und findet, man könne Brecht gar nicht oft genug spielen, da man unpolitische Unterhaltung auf allen Kanälen zur Genüge habe. Für Schauspieler Benjamin Höppner ist klar, dass Theater die Haltung haben muss etwas zu bewegen. Sein improvisierter Ausbruch sei deshalb auch eine Überlegung, wie man die Leute animieren könne in eine Kommunikation zu kommen und die Aufforderung zur Meinungsäußerung durchaus ernst gemeint.


Am Ende kann Theater doch etwas bewegen


Dass diese Inszenierung bei den zum Gespräch gebliebenen Zuschauer*innen etwas bewegt hat, zeigt sich an diesem Abend. Mehrere berichten davon, dass sie sich von Höppners Rede persönlich angesprochen gefühlt haben, gerne etwas gesagt hätten und sich nicht getraut haben. Der Wunsch etwas zu ändern und gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen, sei es Klimakrise oder Fremdenhass, aufzustehen sei da. Brechts Figur, Johann Fatzer, will etwas ändern und entpuppt sich am Ende des Stückes doch als Opportunist. Genau diese dargestellte Entwicklung ist es wohl, die dem Publikum am meisten zusetzt. Wann steh ich auf? Wann reicht es mir? Diese Fragen arbeiten sichtlich in den Köpfen der anwesenden Menschen.



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