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Frühstückslektüre | Bewerbungsgespräche mit Robotern

Verfasst von Stephan Senger am

Eine Software erstellt allein anhand Deiner Sprache ein exaktes Persönlichkeitsprofil. Sie soll so erkennen können, ob Du geeignet für das Unternehmen bist oder nicht. Das Szenario ist kein Science-Fiction, sondern bereits Realität. Die Software „Precire“ wird heute schon von Unternehmen genutzt. Aber sieht so die Zukunft eines effektiven Human Resource Managements aus?

(CC-0) Free-Photos / pixabay.com

Es gibt grobe Faustregeln für Bewerbungsgespräche, die sich im Laufe der Zeit mehr oder weniger etabliert haben. Das passende Outfit gehört zum Beispiel dazu – wer seine Zukunft im Finanzwesen sieht, der sollte dem Personalchef nicht mit Sneakern beim Vorstellungsgespräch unter die Augen treten. Auch gehört ein höflicher und humorvoller Umgangston im Gespräch dazu. Benehmen sei schließlich ein wichtiger Faktor für die Beurteilung sogenannter „Soft Skills“, die im Beruf immer wichtiger werden, sagen PersonalchefsInnen. Zu guter Letzt überzeugt noch eine Prise authentische Körpersprache. Blickkontakt halten, Mimik und Gestik sinnvoll einsetzen und Motivation für künftige Aufgaben zeigen und der neue Job ist eingetütet.

Eine Software des Aachener Unternehmens „Precire“ könnte diese üblichen Regeln nun auf den Kopf stellen. Sie kann Dich als potentiellen BewerberIn durchleuchten, nur anhand dessen, was Du im Telefongespräch von Dir gibst. Anhand Deiner Sprache erschließt das Programm Dein individuelles Persönlichkeitsprofil und sagt, ob Du ins Unternehmen passt oder eben nicht. Dabei ist nicht entscheidend, WAS Du sagst, sondern WIE Du es sagst!

Das könnte sich dann zum Beispiel so anhören: Du führst ein Telefongespräch mit einem Roboter. Der Roboter benötigt genau 15 Minuten, um Dein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Dabei fragt er scheinbar belanglose Dinge, beispielsweise nach Deinem typischen Sonntag. Was Du sagst ist wirklich egal! Du könntest von deinem verkaterten Sonntagmorgen mit Netflix und Pizza reden. Du könntest davon erzählen, dass du keine Ahnung hast, wer die Mädels sind, die sich manchmal Samstagabends bei Dir verirren und über Nacht bleiben. Du könntest sogar davon erzählen, dass einmal in der Woche Dein persönlicher „Chrystal-Meth-Sonntag“ ist. Es ist völlig egal. Die künstliche Intelligenz bewertet nicht, was du sagst, zumindest nicht den Inhalt der Antworten.

Das Programm achtet auf Sprachgeschwindigkeit, die Komplexität der Sprache, Pausen, die Betonung – und auf eine halbe Millionen anderer Eigenheiten deiner Sprache. All das soll Auskunft über die Eigenschaften des potentiellen Mitarbeiters oder der potentiellen Mitarbeiterin geben. Ist er/sie neugierig? Emotional stabil? Belastbar? Fleißig? Der oder die ErfinderInnen der Technologie versprechen so, den oder die passenden MitarbeiterIn für den gesuchten Unternehmensbereich finden zu können. VertrieblerInnen müssen kontaktfreudig sein, MitarbeiterInnen in der Telefonakquise emotional stabil, weil sie wahrscheinlich oft zu hören bekommen: „Rufen Sie hier nie wieder an!“

Aus diesen Sprachmustern kann die Technologie auch auf Charaktereigenschaften schließen, verspricht „Precire“. Demnach sprechen emotional instabile Menschen in ihrer Art und Weise gleich, unabhängig vom Inhalt des Gesagten. Außerdem bewertet die Software noch genauer: Benutzt Du oft Fragewörter, dann hast Du einen hohen Grad an Reflexion. Benutzt Du oft Wörter mit räumlichem oder zeitlichem Bezug, dann beleuchtest Du Tatsachen aus mehreren Perspektiven. Es geht aber auch negativ: Benutzt Du wenige positive Wörter wie „Sonne“ oder „Glück“, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass in Deinen Unterhaltungen immer eine schlechte Stimmung im Subtext mitschwingt, obwohl Du inhaltlich ein sehr positives Erlebnis schilderst.

Über ein derart umfangreiches und unverfälschtes Bewerberprofil freuen sich natürlich die Unternehmen, die die Technologie heute schon nutzen. Bereits über 100 Unternehmen arbeiten mit „Precire“ zusammen, darunter der Flughafenbetreiber „Fraport“ oder der Personaldienstleister „Randstad“. Es gibt aber auch noch einen anderen Vorteil, wie man vom Vorstandsprecher der Versicherungsgruppe „Talanx“ hört, welche die Software ebenfalls nutzen. Er spricht von 70 Prozent weniger Kosten für das Unternehmen. Denn die Software verkürzt den oft langwierigen Bewerbungsprozess, da bereits im Vorfeld eine Auswahl passender BewerberInnen gefunden werden kann.

Aber reicht eine Software tatsächlich dazu aus, ein umfassendes Bild des Menschen mit all seinen Charaktereigenschaften zu zeichnen? In einer Bewerbungssituation, und sei es mit einem Roboter, spricht jeder anders, als mit dem Kumpel auf der Couch. Auch Wissenschaftler der Uni Osnabrück kritisieren das. Sie sehen aktuell kein seriöses Einsatzgebiet, die Personalauswahl lediglich mithilfe des Ergebnisses eines Roboters zu begründen. Aber „Precire“ lernt dazu und wird mit jedem neuen Teilnehmer exakter. Gibt es also einen Raum, die Software zu manipulieren und ist das Auswahlverfahren für Jobs so überhaupt fair? Vielleicht kann man seine Sprache doch ändern, zumindest vorübergehend im Telefongespräch mit dem Roboter? Punktuell sei die Sprache veränderbar, irgendwann falle aber jeder in sein altbewährtes Sprachmuster zurück, sagt ein Precire-Mitbegründer. Werden dann zukünftig klassische Bewerbertrainings so laufen, dass auf eine gewisse Wortauswahl und ein akkurates Sprechtempo geachtet wird, um zumindest temporär die Sprache zu verändern? Haben Menschen mit einer von vorn herein passablen Sprachweise gleichzeitig auch bessere Voraussetzungen, über Sprach- und Moderatorenschulungen bessere Jobs als andere zu ergattern bei gleicher Qualifikation? Über die Fruchtbarkeit solcher Personalbeschaffungsmaßnahmen kann bisher nur spekuliert werden. Es liegen vonseiten des Herstellers noch keine Zahlen vor, inwiefern ein künstliches Bewerbungsgespräch passendere Mitarbeiter für ausgeschriebene Stellen vorschlägt als der Personalchef. Am Ende entscheidet dennoch immer noch ein persönliches Gespräch darüber, ob der Bewerber die Zusage erhält – auch in Unternehmen, die „Precire“ schon nutzen.

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