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Glühbirne | Fragenstriptease

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„Klingel bei Martens, Kai und Herrmann. 2. Stock. Kann sein, dass die Klingel nicht geht, dann ruf einfach hoch, wir machen dir dann auf.“, lese ich in der E-Mail, während ich schon vor dem Wohnhaus stehe.

Klingel geht tatsächlich nicht. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und rufe in Richtung 2. Stock: „Rapunzel Rapunzel, lass dein Haar herunter!“. Ein verwirrter Martens, Kai oder Herrmann öffnet das Fenster über mir und schaut mich fragend an. „Hi, ich bin Bentje!“. Das Fragezeichen bleibt. „Ich bin wegen des freien Zimmers hier.“. Ich sehe ihm die Erleuchtung an und der Summer ertönt. Toll. Humor haben die schon mal nicht. Ich verwerfe also die Idee, mich oben als Joko vorzustellen und die drei mit den Worten „Willkommen bei MTV Cribs!“ zu begrüßen. Das selbstgebastelte Mikro lasse ich noch unten in einem Briefkasten verschwinden.

Bevor ich das Ende der Treppe erreiche, atme ich noch einmal tief ein, richte meine Haare (als ob) und setze mein ihr-seid-meine-aller-erste-WG-Besichtigung-Lächeln auf. Showtime! Es stehen drei Menschen im Türrahmen, die mich sofort von oben bis unten mustern. Sie riechen an meinen Haaren, wiegen mich und checken die Anzahl meiner Finger. Den äußerlichen Test habe ich bestanden und es folgen die Fragen, ob ich gut hergefunden hätte (ja) und wo denn mein Name herkomme (is friesisch). Schuhe an (nee) und Jacke wohin (dahin).

Wir bewegen uns ins Innere der Wohnung. Wie eine Gruppe von Touristen besichtigen wir Zimmer für Zimmer und ich werfe brav nach jedem Satz des Reiseleiters ein begeistertes „Oh wie toll!“ oder „Ah! Schön schön!“ ein. Als ich meinen Selfiestick raushole um ein Foto mit der Zimmerpflanze zu machen, merke ich wieder, dass meine Späße hier leider nicht erwünscht sind. Man bestraft mich mit einem frühzeitigen Ende der Tour und wir setzen uns in die Küche. Wasser? Ja gerne.

Martens (oder Kai oder Herrmann) stellt eine Eieruhr in die Mitte des Tisches und startet diese in derselben Bewegung. Ab jetzt habe ich 15 Minuten Zeit. 15 Minuten um drei wildfremde Menschen davon zu überzeugen, ihre Privatsphäre mit mir zu teilen. 15 Minuten, sie so sehr um den Finger zu wickeln, dass sie sich vorstellen können meine Haare aus dem Abfluss zu entfernen. 15 Minuten um zu entscheiden, ob du diese drei Menschen ab jetzt jeden Tag sehen möchtest. Was ich sagen will: Es gibt kaum eine absurdere Situation als ein WG-Casting.

Jeder will mir als erstes eine Frage stellen. Mein Blick schnellt von Martens zu Kai zurück zu Martens hin zu Herrmann. Ich wollte schon vorschlagen, so etwas wie einen Rede-Ball einzuführen, aber da fiel mir wieder ein, dass nur ich das lustig finden würde. Frage um Frage werde ich transparenter – ja, irgendwie nackter.

„Was isst du gerne?“ – Mein Schlabberpulli landet auf dem Boden.
„Was studierst du?“ – Meine Hipsterbrille fällt auf den Küchentisch.
„Hast du einen Freund?“ – Und so stehe ich nackt vor drei fremden Menschen.
Noch 8 Minuten. Eine Frage folgt der anderen, mein Mund ist trocken. Ich höre mich „Seit 19 Jahren stubenrein!“ sagen und halte kurz inne. Was haben die mich gerade gefragt? Konzentration! Cool bleiben. „Bist du Vegetarierin?“, fragt mich Kai. Gefährlich gefährlich. Beinahe hätte ich wieder unüberlegt geantwortet. Ich setze zu einem „Nnnn...“ an während ich mich panisch in der Küche umschaue, in der Hoffnung irgendwo eine Räucherwurst hängen zu sehen oder die Titel der Kochbücher überfliegen zu können. Auch ein „We love animals“-Sticker am Kühlschrank würde schon helfen. Aber nein. Mein Blick trifft wieder auf die mittlerweile verwirrten Gesichter von Martens, Kai und Herrmann. Ich habe gar nicht gemerkt, dass sich mein „Nnnn...“ schön über 30 Sekunden zieht. Okay, fifty-fifty Chance. Ich forme ein „Nnneeii...“ und studiere dabei ganz genau die Gesichter meiner Jury. Martens’ Augen weiten sich etwas und ich meine eine Bewegung nahe Kais Mundwinkel erkannt zu haben. „Nnnn...na klar! Vegetarierin!“. Die Anspannung löst sich in ihren Körpern (ich meine sogar aus Hermanns Richtung einen Pups vernommen zu haben – aber besser nicht lachen) und sie lächeln zufrieden. Das war knapp. Glück gehabt. Die Eieruhr klingelt und auch meine Anspannung fällt von mir.

Zum Schluss noch die Frage, ob ich Interesse hätte (ja) und dass sie sich morgen schon melden würden (okay). Ich sammle meine Klamotten wieder ein, zum Abschied gibt es eine Umarmung (ob aus Höflichkeit oder aus Mitleid kann ich nicht genau sagen) und schon war ich wieder weg.

Unten vor der Tür steht ein Typ, der gerade zu einem „Sesam öffne dich“ in Richtung 2. Stock ansetzt. Ich kann ihn im letzten Moment davon abhalten, halte die Tür auf und wünsche ihm mit einem wortlosen Nicken viel Erfolg. Die Bestechungsversuch-Räucherwurst unter seinem Arm lasse ich aber kommentarlos, schließlich sind wir ja immer noch Konkurrenten.

Tatsächlich, am Abend darauf kommt eine Nachricht.
Die Nachricht:

Hi Bentje,
cool, dass du da warst! Wir haben uns letztendlich doch für einen Bekannten entschieden. Viel Glück bei deiner WG-Suche!
Martens, Kai und Herrmann

P.S. Ach ja! Du hast deine linke Socke bei uns vergessen.
Ja toll. Vitamin B gibt es also auch bei der WG-Suche. Ich weine kurz in meine rechte Socke, beiße von meiner Räucherwurst und logge mich wieder bei wg-gesucht ein. Das ist doch alles doof.


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