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,,Axolotl Overkill“ - ein anspruchvolles ,,Fack ju Göhte"?

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Eigentlich ist es bereits eine Beleidigung, Axolotl Overkill mit Fack ju Göhte zu vergleichen, aber die Gesellschaft liebt Vergleiche, um nicht so viel denken zu müssen und Dinge besser einordnen zu können.

Constantin Film / Axolotl Overkill

Das einzige, was die beiden Filme gemeinsam haben, ist die vulgäre Sprache, die in jeder Sekunde aus dem großkotzigen Maul der Protagonistin auf ihre Umwelt spritzt. Mifti, gespielt von Jasna Fritzi Bauer, ist 16 Jahre alt, sieht aus wie 12 und verhält sich wie 30. Nicht mal in ihrem Alter herrscht Konsequenz.

Seit dem Tod ihrer Mutter lebt sie mit ihren beiden älteren Halbgeschwistern Anika (Laura Tonke) und Edmond (Julius Feldmeier) in einer Berliner WG, die chaotischer und verrückter gar nicht sein könnte. Ihre Schwester versucht sich erfolglos als Ersatzmutter und taumelt dabei zwischen Hilflosigkeit und Verzweiflung. Der Bruder bügelt willkürlich gewählte Gegenstände, wovon einer ein Schokoladenkuchen zu sein scheint. Wortstarke Dialoge zwischen den Geschwistern und Mifti bereiten nicht nur Spaß beim Zuhören, sie malen auch den Charakter der jungen Hauptdarstellerin.

Steh auf Fotze und verbeug dich.

Was im ersten Moment einen entsetzten Blick fordert, belohnt eine Reaktion später mit herzhaftem Lachen. Der harte und direkte Wortlaut macht den grotesken Humor des Films aus. Beleidigungen und Schimpfwörter tanzen im Einklang mit Sympathie und reihen sich neben intellektuellen Wortgefechten ein.

Der Axolotl ist ein aquatil lebender mexikanischer Schwanzlurch, der die Geschlechtsreife erreicht, ohne seine äußere Larvengestalt zu verändern.

Er wird also erwachsen, man sieht es ihm jedoch nicht unbedingt an. Wie Mifti, die zwar wie 16 aussieht, jedoch innerlich wesentlich weiter ist. Da sie mutterlos aufwuchs und selten Kontakt zu ihrem künstlerisch abgedrehten Vater hat, bleibt ihr nichts anderes übrig als in die Welt der Erwachsenen abzugleiten. Nachdem sie von der Schule fliegt, bestimmen Drogen und Party ihr Leben, das in der typischen Ausführung, wie man es schon in Victoria und Feuchtgebiete sehen konnte, inszeniert wird. Die Kamera schweift durch Blitzlichtgewitter, Haare kleben im verschwitzten Gesicht und dennoch schafft der Film es, seine absurde Note miteinzubringen. Plötzlich gerät der ganze Club in eine gemeinsame Choreographie und verschmilzt zu einer fremden Gemeinschaft. In einem anderen Moment wird ein junges Mädchen gezeigt, das zum vollen Song einen körperbetonten Bodypop durch eine leere Altbauwohnung tanzt. Spiegelt der Einspieler Miftis Gedanken und Emotionen wider? Soll er mir als Zuschauer irgendetwas mitteilen?

Viele dieser Situationen schenken dem Film immer wieder eine angenehme Abwechslung, wenn scheinbar unlogische Szenen ins Bild huschen und den Zuschauer verwirren und gleichzeitig begeistern. Helene Hegemann traut sich die Geduld und das Gehirn zu forden, ohne alles aufzuklären. Ein cineastisches Mittel, das schon lange in der modernen, oberflächlichen Filmwelt ertrunken ist und hier wiederbelebt wird.

Es tauchen auch Männer in diesem Film auf, aber sie verschwinden schnell wieder.

Wer hier einen feministischen Film erwartet, liegt falsch. Ein oberflächlicher Blick auf den Trailer könnte dies vielleicht vermuten lassen. Die innige Liebesbeziehung zu der wesentlich älteren Alice (Arly Jover), der kurze Flirt mit der Schauspielerin Ophelia (Mavie Hörbiger) und kontrastierend dazu emotionslose Ficks mit zufälligen Männern könnten Kritiker dazu veranlassen, das Drama als Feministen-Film abzustempeln. Das passiert, wenn man den Film gezwungen irgendwo einordnen muss. Doch er muss gar nichts. Axolottl Overkill muss in keine Schublade gesteckt werden und aktuelle Medienklischees bedienen. Es ist ein Film, der lediglich eine ehrliche Liebesgeschichte einer jungen Frau beschreibt, die sich in eine Person verliebt, die ihr Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und Geborgenheit schenkt – Gefühlswelten, die ihr zuvor aufgrund mangelnder elterlicher Fürsorge verwehrt blieben. Gleichzeitig schlummern in der Geschichte aber auch biografische Züge der Regisseurin und Drehbuchautorin Helene Hegemann, die selbst eine Beziehung mit einer älteren Frau hat und ohne Mutter aufwuchs.

Axolotl Overkill ist ein amüsantes Drama, das zwischen Tragik und Komik schläft und mit Verwirrung kuschelt. Gepaart mit einer ehrlichen Liebesgeschichte und moderner Sprache hebt sich der Film von vielen deutschen Vorgängern ab und strahlt in bunten Lebensfarben. Im einen Moment fordert er vom Zuschauer Geduld und belohnt ihn im nächsten mit unvorhergesehenen Wendungen. Ein Film für die Lachmuskeln, das schlechte Gewissen und die Seele, in der sich so einige Glassplitter widerspiegeln.


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Regie und Drehbuch: Helene Hegemann

Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Arly Jover, Mavie Hörbiger

Filmlänge: 94 Minuten

Kinostart: 29.06.2017



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